Bevor hier Missverständnisse entstehen: dieser Artikel hat, auch wenn die Überschrift anderes vermuten ließe, nichts mit Zar Hui zu tun. Vielmehr soll hier ein in Europas Köpfen umgehender Kleingeist besprochen werden, der sich unsichtbar und nur in Äußerungen zweifelhafter Kommentatoren und Ergebnissen früherer DM-Finale manifestiert.
Fangen wir aber von vorne an, beginnen wir dort, wo sieben ideale Spieler an einem Diplomacy-Brett sitzen und einen würdigen Sieger unter sich ausmachen sollen. Im Idealfall gelingt dies demjenigen, der die beste Strategie spielt, die anderen sechs Mitspieler am effektivsten vor seinen Karren spannt und deren Schwächen (menschliche wie strategisch-taktische) am erfolgreichsten für seinen Masterplan einsetzt.
Warum nun lässt sich dieses ideale Brett mit sieben tollen Spielern in der realen Ludo-Welt nicht realisieren? Weil an jedem Brett Menschen sitzen, und keine idealen Spieler, weil viel mehr als durch gute Strategie und Verhandlungskünste die Partien durch menschliche Fehler, Vorurteile und Charakterschwächen entschieden werden.
Ein Beispiel: da sitzt der Highscore-Listen-Erste neben mir am Brett. Unangenehm, vielleicht. Wie kann ein zweiter Spieler kreativ mit dieser Situation umgehen? Er benützt das Argument, dass da ein starker Spieler sitzt, um andere Spieler vor den eigenen Karren zu spannen. Wie wird in Realität mit der Situation umgegangen? Das Argument 'Hilfe, der Ranglisten-Erste' verselbständigt sich, und derjenige, der eigentlich davon profitieren wollte, tappst in die eigene Falle. Der betreffende Spieler glaubt plötzlich selbst daran, dass der Ranglisten-Erste über unmenschliche Zauberkräfte verfügt, und setzt in Zukunft selbst alles daran, die vermeintliche Gefahr möglichst rasch los zu werden. Auch wenn das signifikante strategische Nachteile für die weitere Partie mit sich bringt. Er spannt sich somit vor den Karren eines anderen Spielers, der mit der Situation souveräner umgeht.
Szenenwechsel. Es muss ja nicht unbedingt der Highscore-Erste am Brett sitzen. Besonders menschlich wird das Ganze, wenn Sympathien (oder Antipathien) ins Spiel kommen. Natürlich geht man mit Menschen, die einem sympathisch erscheinen, bei denen man sich ausrechnen kann, dass man eine Partie lang Spaß haben wird, lieber ein Bündnis ein, als mit einem Typen, der einem ohnehin schwer auf die Eier geht. Gewisse zwischenmenschliche Faktoren werden nie auszuschalten sein. Trotzdem ist das ganze immer noch ein Spiel, und wer seine Aversionen am besten kontrolliert, wird auch gut aussteigen. Jemand, der das nicht kann, wird seine strategischen Möglichkeiten von vorne herein beschneiden, weil er einfach gewisse Allianzen (die vielleicht vom Spieleverlauf gefordert wären) nicht eingehen kann.
Noch eine Stufe tiefer ist die 'Geographische Macke' angesiedelt. So gesehen im Finale vor einem Jahr, als bereits vor dem ersten Spieljahr fest stand, wer sich riechen konnte und wer nicht. Einfach, weil einige Spieler aus der richtigen Region kamen, und andere nicht. Auch das ist ein Phänomen, das man ausnützen kann, um Ängste am Brett zu schüren, an die patriotische Zusammengehörigkeit anderer zu appellieren und alle vor den eigenen Wagen zu spannen. Wiederum gilt: wenn sich das Argument verselbständigt, und ein Spieler die Dinge, die er anderen erzählt plötzlich selber glaubt (zum Beispiel, dass alle Österreicher in einer Partie zu einander halten müssen), hat der betreffende Spieler den Pfad der Weisheit verlassen, und sich selbst in eine Situation manövriert, in der er anderen zu Diensten ist, weil er die Geschichten, die er anderen erzählt hat, um sie für seine Zwecke einzuspannen, plötzlich selber glaubt.
Noch einmal langsam zum Mitschreiben:
1) Diplomacy ist wesentlich von Faktoren beeinflusst, die nichts mit dem Spiel
zu tun haben. Solche Faktoren sind: vermeintliche Spielstärke und Reputation
der einzelnen Spieler; Sympathie und Antipathie der Spieler zueinander; geographische
Herkunft der Spieler; sexuelle Orientierung, Geschlecht bzw. Körbchengröße
etc. etc.
2) Diese Faktoren lassen sich produktiv einsetzen, in dem man sie dazu benutzt, andere Spieler vor den eigenen Karren zu spannen. Natürlich machen diese (eigentlich völlig hirnrissigen) Argumente nur innerhalb eines Spieles Sinn, und auch da nur, bis sie als fadenscheinig durchschaut werden.
3) In dem Moment, in dem der Spieler, der sich der Argumente in 1 bedient, beginnt, selbst an seine Argumentation zu glauben, ist er in die eigene Falle getappt und wird sich wahlweise vor die Karren seiner klügeren Mitspieler spannen lassen.
Szenenwechsel. Was hat das Ganze bisher mit dem diesjährigen DM-Finale zu tun? So wie vor einem Jahr sind auch diesmal wieder etliche Spieler aus denselben geographischen Breiten dabei. Und seit Beginn des Finales reißen die Stimmen nicht ab, die davon ausgehen, dass sich 'die Berliner' zusammentun werden, um gemeinsam das Finale zu gewinnen. Scharen von Kommentatoren kriegen es nicht auf die Reihe, Hintergründe der Partie zu analysieren, die nicht darauf aufbauen, dass 'Der Berliner Block' gemeinsame Sache macht.
Was das zeigt? Dass unglaublich dumme Argumente (wie z.B. geographische Nähe der einzelnen Spieler), die innerhalb eines Spiels vielleicht Sinn machen (wie in 2 gezeigt, um anderen Angst zu machen, an patriotische Gefühle zu appellieren, etc., also zum Zweck der Manipulation), außerhalb der Partie eben völlig unsinnig sind. Jeder, der im Zusammenhang des DM-Finales von einem 'Berliner Block' spricht, stellt sich dadurch vor versammeltem Publikum selbst bloß, und präsentiert auch noch stolz den eigenen Kleingeist, das bemerkenswerte Brett vor dem Kopf, das man tragen muss, um derartige Argumente außerhalb einer Diplomacy-Partie gelten zu lassen.
Wider den Kleingeist in Diplomacy-Partien und besonders den Kommentaren zu ihnen!