Kuschelbeton und One-Night-Stabs

Das ist ja mal wieder nicht auszuhalten.
Jede Partie hat einen gewissen Grad an Stab- und Bündniswechsel- Freude. Ablesen lässt sie sich am besten am Schwitz-Grad der Spieler während einer Auswertung.

In manchen Partien schieben sich die Einheiten ab 1905 nur noch an den Stalamatelinien entlang. Es gibt genau zwei feste Allianzen, sogenannte „Betonbündnisse“, eine links und eine rechts. Bei dem Wort Stab würden die Kontrahenten (die „Betonköpfe“) zunächst mal an das Zauberutensil des Magiers Gandalf denken. Oder die Beratergruppe eines führenden Politikers. Oder an einen Kochlöffel für die Tomatensuppe, deren Rezept man von seinem lieben Bündnispartner in einer der plauschigen Knuddel-Emails dieser Woche bekommen hat. Aber nicht an Verrat - sowas Pöses kommt hier nicht vor, meist aus kindheitstraumatischer Angst davor, dass die Nachbarn viel grober und unzärtlicher sind als der bereits angekuschelte Beton-Partner. Dementsprechend schaut man die Auswertungen mal eben zwischen dem Wetterbericht bei Spiegel Online und dem Durchstöbern des Ludo-Forums an. Die Züge hat einem eh schon jeder vorab verraten, und schwitzen braucht keiner. Das Spannendste ist die Verkündung des nächsten ZATs. Die Auswertungen sind etwa so interessant wie die Ziehung der Lotto-Zahlen, wenn man gar kein Lotto spielt.
Adrenalin-Grad 0,5

An der Tagesordnung sind auch Partien, in denen meist alles gut läuft, aber der Verrat in der Luft liegt. Fremdgehen ist eine Sünde, doch jeder sündigt mal. Man weiß, irgendwann schlägt der anvertraute Bündnisgatte zu, wenn man ihm nicht selber zuvorkommt. Wahrscheinlich passiert es noch nicht dieses Mal - aber was heißt schon wahrscheinlich? Bei den Auswertungen zeigt sich schon mal eine feine Stirnbenetzung, Herzklopfen, die Hände zittern leicht. Adrenalin-Grad 3 bis 5

Seltener, doch nicht zu unterschätzen sind die Partien, in denen 7 lustige Pinochios einen lange-Nasen-Contest abhalten. Hier ist eine Auswertung gleichbedeutend mit der Millionenfrage bei Jauch, und man hat keinen Joker mehr und sich mal eben für a) entschieden. Natürlich war das nur gezockt, es besteht eine ebenso hohe Chance, dass sich der Hauptgewinn hinter b), c) oder d) verbirgt und man zur Lachnummer des Publikums absinkt. Hinter jedem Lächeln verbirgt sich ein Knüppel, hinter jedem Zugvorschlag ein blutlechzender Dolch. Triple-Bündnisse, bei denen der Dritte nur als Nahrungsvorrat mitläuft, sowie spontane One-Night-Stabs sind anerkannter Zeitvertreib. Oft und gern gehört sind Sätze wie „keine Sorge, ich will doch nur in die VZ hinter deinen VZ“ oder „nichts Persönliches, ich brauchte einfach mal ne Veränderung“. Zugabgaben werden oft gelost oder nach Sympathiewerten auf die 6 Bündnispartner verteilt. Mal liegt man richtig, mal daneben, aber eins ist sicher: Bündnisse sind was für Warmduscher, für Croissants-Selbermacher und Teletubbie-Zurückwinker. Die Auswertungen werden nur in sitzendem Zustand und in Reichweite eines gut ausgestatteten Medizinschrankes geöffnet. Manche schicken die Ehefrau vor und fragen vorsichtig, ob Burgund besetzt ist oder man mehr als 2 Abbauten hat.
Adrenalin-Grad: 9,9.

Und dann gibt es noch das DM-Finale. Hier stabt jeder jeden und schießt auf alles, was sich bewegt. Es wird gelogen und gegrabscht, meist unter der Gürtellinie, in schier unansehnlicher Lust und Gier. Adrenalin-Grad: Es ist kein Adrenalin mehr vorhanden, die Spieler haben es sich aus Sicherheitsgründen abpumpen lassen. Die Zuschauer schließen Wetten ab, welcher Spieler es schafft, am meisten Gegner gleichzeitig anzugreifen. Und die Kommentatoren schreiben ellenlange Artikel über alle möglichen Randthemen, nur um von der taktischen Stellung am Brett abzulenken. Bündnisse? Rache? Singulär und obsolet. Deutungsversuche? Sich in die Spieler hineindenken? Nein. Man könnte ja ebenso versuchen, in Amerika Demokratie-Seminare anzubieten. (Haha kleiner Seitenhieb mit aktuellem Bezug, natürlich liebt die tatz das wundervolle Land der unbegrenzten Möglichkeiten, und auch die USA findet sie nicht schlecht.)

Na jedenfalls, damit keiner sagt, wir würden nicht auch die taktische Situation analysieren: Der Franzose gewinnt.

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