Bloß nicht nach unten gucken! WAAAAA zu späät!

oder: Die Sache mit dem Durchhalten

--- Mit dem aktuellen tatzometer ! ---

Ja, es ist soweit. Die tatz muss wieder einmal alle Beteiligten an das Wesens dieses Finales erinnern - und an die Tugenden, die die Teilnahme, aber auch das Beobachten und erst recht das Kommentieren uns allen abverlangt. Doch holen wir etwas weiter aus.

Tja, es ist ein tiefer Sturz vom Teilnehmer am Finale der Deutschen Meisterschaft, vom Anwärter auf den Titel des besten Email-Spielers im deutschsprachigen Raum, vom Helden am Kaminfeuer der Tafelrunde, hinunter auf den Grund und Boden der Normalsterblichen, in den Staub der Niederlage, in Schande, Schmach und das tiefschwarze Vergessen. Der Sturz dauert nicht lang, doch lange im Voraus bahnt er sich an, und lange im Nachhinein haftet er dem Verlierer an. Vergangene Finals sind Geschichte, und Geschichte schreiben Sieger. An die Verlierer erinnert sich niemand, sie *sind* Geschichte, schon in dem Augenblick, in dem sie den letzten, tödlichen Stich kassieren. Ein DM-Finale gleicht dem mutigen Gang über eine Hängebrücke in schwindelerregender Höhe über einem Lavastrom. Nur einer kann auf der anderen Seite ankommen und die Prinzessin knutschen (oder den Prinzen, je nach Vorliebe und PR-Strategie). Je weiter man geht, desto mehr Trittbretter fehlen, desto schmaler wird der Abstand zwischen den schwankenden Reling-Seilen, und desto höher spuckt die Lava und erinnert die mutigen Ritter an die Prophezeihung des Schicksals, die da lautet "es kann nur einen geben".
Unseren allseits beliebten österreichischen König und Kaiser Peter von Haagsburg hat es schon erwischt. Sein Schwert ist ebenso verglüht wie der Glanz seiner Rüstung, die seinerzeit, beim feierlichen Einzug ins Finale, denen seiner Kombattanten noch in nichts nachstand. Doch wie gesagt, so kurz auch der Sturz, so lang zieht sich doch der Leidensweg: Die Niederlage hatte sich schon länger angedeutet. Nicht klar war, wer zuerst stürzt, und schon bangen denn auch die nächsten um Leib und Leben und ein ehrenhaftes Erinnern. Ihr Untergang gleicht dem österreichischen, nur findet er zeitverzögert statt - und der Ausgang offen. Große Hoffnungen hingegen auf Krone, Thron und Zepter können sich hier nur noch 3, vielleicht 4 Spieler machen.

Und weil dieser Tage so unsäglich viel über Tripple, Truppel und Quadruppel philosophiert wird, über Blocks, Mauern, Blutsbrüderschaften, über ganz ganz sichere Züge, durchschaubare Scheinstabs und sonstigen Schnickschnack, bleibt es an der tatz, mal wieder Tacheles zu reden.
Punkt 1, hier will jeder gewinnen. Wer nicht mehr glaubt, dass er gewinnen kann, wird doch alles daran setzen, möglichst ehrenhaft zu verlieren. Soweit unser Glaube in das Gute im Diplomacyritter. Sir Rudi und Sir Udo, der eine diesseits, der andere jenseits des von ahnungslosen Spöttern mutwillig gezogenen Berliner Schein-Grabens, haben sich bisher beide gemäß dieses Codex’ verhalten. Der Abschenker-Alarm hat in diesem Finale noch nicht angeschlagen, und auch korrupte Rudelbildung konnten wir soweit nicht feststellen. Alles andere ist spalterische Übertreibung und Schlagzeilen-Geilheit. Liebe Kollegen, wir können es uns nicht verkneifen: Klasse geht vor Masse.
Punkt 2: Durchhalten ist angesagt. Sowohl für die Spieler, als auch für die Beobachter. Keine Müdigkeit vorschützen, wir sind immer noch im Begriff, Geschichte zu schreiben und zu erleben! Selbstverständlich würde gern jeder der Teilnehmer 1907 schon oder noch ganz vorn dabei sein, eine Großmacht mit Perspektive und Optionen, bereit zum Sprung aufs Siegertreppchen. Und sicherlich flacht die Aufmerksamkeit der Zuschauer zum Mid-Game hin gerne mal ab, schleppt sich das Spiel etwas hin, erkennen wir alte Muster und bekannte Fronten - denn es handelt sich ja nun nach wie vor um eine Partie Diplomacy. Das darf nun einerseits nicht darin ausarten, dass Spieler nachlassen und aufgeben, sich in Selbstmitleid und Rachegefühlen suhlen oder verspielten, aber nicht zielführenden Aktionen hingeben. In dieser Hinsicht müssen wir unseren tapferen Recken mal Bestnoten verteilen. Denn wie gesagt handeln sie gemäß des Ehrencodex’, kämpfen weiterhin um ihr Bestes und überraschen uns wieder und wieder mit ausgebufften Strategien und überraschenden Seitenwechseln. So liegt es nun an uns, den Beobachtern und Kommentatoren, diese Partie zu genießen und uns zurückzuhalten mit unqualifizierten Seitenhieben und Verleumdungen, mit Fantasie-Erkenntnissen und Verschwörungstheorien und all dem, womit wir glauben, die Partie an Spannung und Senstaionalität künstlich aufbauschen zu müssen. Sie hat es nicht nötig.

Seien wir doch mal ehrlich: Diese Partie ist eine der besten Finalpartien, die wir bisher auf Ludomaniac erleben durften, gerade weil es keine Genies und Überflieger gibt, sondern 7 gute aber nicht fehlerfreie Spieler, und wir haben allen Grund, mit gebührlichem Respekt über diese Partie zu reden.

Also, Klappstühle wieder von liegend auf halbhoch gestellt, einen Schluck Tee inhaliert, und Augen auf beim Centerkauf. Auch wenn es zu dieser Zeit im Spiel, zwischen nachlassender Starteuphorie und einsetzendem Schlussspurt, am schwersten fällt: Wer später mal sagen will, er war dabei, sollte die nächsten Jahre nicht verpassen. So, und damit niemand glaubt, wir hätten das Spotten verlernt, kommt nun das einzigartige, wahrhaftige, ja das paramauntöse:

TATZOMETER
Das erbarmungslose Final-Barometer

(Übrigens: Man muss sich die Zahlen und das "points" natürlich französisch ausgesprochen vorstellen, "poa", wie beim Grongprie Örovision della Schongsong!)

Österreich: 1 poa
Ein Ehrenpunkt. Denn vergessen haben wir ihn noch nicht. Schauen wir, ob sein Vermächtnis einer Westmacht den Sieg bringt, quasi als Fluch über seine Schächter.

Deutschland: 3 poa
Oha oha oha oha oha oha oha oha oha. Bloooooß Vorsichtig. Und nicht runtergucken ;-)
Einen Gegner kann sich der Kaiser gerade nicht leisten. Aber wir wissen ja um seine diplomatischen Fähigkeiten, Frankreich hat eine Flotte gebaut, und mit dem Russen hat sich Sir Udo auch geeinigt. Also haben wir ihn noch nicht aufgegeben.

Italien: 4 poa
Totgesagte leben länger. Doch soeben noch von der Schippe gesprungen, darf Il Presidente jetzt nicht dem Leichtsinn verfallen. Noch immer schwirren zu viele fremde Einheiten in direkter Nähe umher. Der Türke ist ein mächtiger Feind, der Venedig erobern oder eine Armee in Apulien landen könnte. Auch der Support für eine französische Flotte nach Ion ist nicht wirklich ein Schritt in die Unabhängigkeit. Wir vermissen eine klare Überlebensstrategie.

Russland: 6komma5 poa
Hier beginnt langsam die Rote Zone, der VIP-Bereich, in den nur Sieges-Anwärter dürfen. Das war nämlich der große Tag (oder besser die große Nacht) für das Schlossgesepnst. Alles oder nichts, Frieden mit dem Westen, attack the leader, der Griff nach den Sternen. Naja leicht verfehlt den Stern, sagen wir, in den Schweif gegriffen. Ein Aufbau war nicht drin. Aber nicht völlig erfolglos: Der Zar schwebt zwischen Großmachtstellung und Mittelmacht. Wenn er gewinnen will, muss er noch einen Zahn zulegen. Trauen wir ihm aber zu.

England: 7,2 poa
Also Jungs, dass ihr Flotten bauen könnt, glauben wir euch jetzt. Das sah auch schon mal besser aus für den King. Wenn er den Deutschen nicht auf seine Seite bekommt, dürfte Frankreich durch sein im Westen.

Türkei: 9,8 poa
Holla.... tja war wohl nix mit Berliner Blöcken. Ein guter Riecher von Robert. Doch lange hält er es gegen Russland und Italien nicht durch. Wenn er deutscher Meister werden will, ist jetzt ein Schuss Genialität gefragt.

Frankreich: 11 poa
Was findet Monsieur Jochen noch an Tunis und Ion? Er braucht doch eher einen agilen und türkei-feindlichen Italiener, als ein VZ, dass er mit zwei Flotten schützen muss, die im Norden viel sinnvoller aufgehoben wären. Jetzt ein geschickter Umschwung und einen Freund im Norden, und die Sache ist geritzt. Oder spielt er auf Zeit? Jedenfalls sollte er sich jetzt richtig ranhalten, denn er ist den Sieges-Lorbeeren zum Greifen nah.

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